Eine kurze Geschichte der Marktgemeinde Wiener Neudorf

Das älteste Neudorf mit seiner im heutigen Klosterpark gelegenen Burg, entstand im Zuge des Landesausbaus im 11. Jahrhundert. Mit der Entstehung der großen Landstraße von Wien nach Süden um 1200 und der Einrichtung einer Mautstelle am Mödlingbach orientierte sich der Ort fortan entlang diesem Verkehrsweg.
Neudorf – die Namensform Wiener Neudorf stammt erst aus der Mitte des 19. Jahrhunderts – war ein Bauerndorf, dessen Bewohner hauptsächlich von Agrarwirtschaft und Weinbau lebten, aber auch durch die Fernstraße Beschäftigungsmöglichkeiten fanden. Im 15. Jahrhundert wird mit der St. Wolfgang-Kapelle erstmals eine Kirche erwähnt – sie ist heute als das Alte Rathaus bekannt. Das Marktrecht erlangte Neudorf im ausgehenden Mittelalter. In den Jahren 1529 und 1683 hatte der Ort schwer unter der Belagerung Wiens durch das osmanische Reich zu leiden. Nach der Türkenbelagerung musste der Ort praktisch neu besiedelt werden.
Neudorf war Sitz einer Grundherrschaft, die über das Ortsgebiet hinausreichte. Die Besitzer wechselten häufig, ehe 1733 das Erzbistum Wien die Herrschaft erwarb und bis 1850 innehatte. Die Erzbischöfe nutzten das örtliche Schloss unter anderem als Sommerresidenz. Eine besondere Nähe zu Wiener Neudorf entwickelte Erzbischof Kardinal Migazzi, der 1780 eine neue Kirche bauen ließ, die drei Jahre später auch zur Pfarrkirche erhoben wurde.
Mit dem Ende der Grunduntertänigkeit 1848 fand das Schlossareal eine neue Bestimmung. 1853 wurde hier eine Strafanstalt für Frauen eingerichtet, deren Betreuung Nonnen des jungen Ordens vom Guten Hirten übernahmen. Diese errichteten eigens dafür ein Kloster. Die Anstalt wurde 1938 aufgelassen, das Kloster bestand mit einer Unterbrechung bis 1973.
Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts setzte auf Neudorfer Gemeindegebiet die Ziegelproduktion ein, die bis ins frühe 20. Jahrhundert ein wichtiger Wirtschaftszweig bleiben sollte. Der Kahrteich war damals eine Abbaustelle, die 1965 zum Naherholungsgebiet umgebaut wurde.
Auch die Bierbrauerei spielte eine bedeutende Rolle, die vor allem seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit der Austria Brauerei sogar internationale Bekanntheit erlangte. Die zunehmende Industrialisierung brachte einen Zustrom von Arbeitskräften, der zu deutlichen Veränderungen im traditionellen, agrarisch geprägten Sozialgefüge sorgte.
Ende des 19. Jahrhunderts prägte das erstarkende Postwesen den heutigen Namen Wiener Neudorf um die Gemeinde von Namensvettern zu unterscheiden.
In der Zwischenkriegszeit geriet Wiener Neudorf mit der Stagnation der Ziegelindustrie in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im Zuge der Schaffung von Groß-Wien unter den nationalsozialistischen Machthabern im Jahr 1938 wurde der Ort Teil des neuen 24. Gemeindebezirks Mödling und behielt lediglich eine Ortsvorstehung. 1941 wurde auf überwiegend Wiener Neudorfer Boden das Rüstungsunternehmen Flugmotorenwerke Ostmarkt gegründet, zu dessen Bau und Betrieb vornehmlich Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aus dem örtlichen KZ-Außenlager von Mauthausen hinzugezogen wurden.
Im Jahr 1954 wurde Wiener Neudorf wieder an Niederösterreich angegliedert und erlangte so seine Selbstständigkeit als Gemeinde wieder. Im Bemühen um Überwindung der erheblichen wirtschaftlichen Probleme gelang es Wiener Neudorf, die vielen Freiflächen, sein wichtigstes Kapital, für Betriebsansiedelungen sowie Wohnungs- und Siedlungsbau zu nutzen. Unter den Firmen die nach Wiener Neudorf kamen waren der Kamera- und Unterhaltungselektronik-Hersteller Eumig (1957), die Automatisierungs- und Elektronik-Firma Brown-Boveri (1960), der Verbundstoff-Produzent Isovolta (1962) und das Unterwäsche-Unternehmen Palmers (2007). Vor allem das Gelände der ehemaligen Flugmotorenwerke bot sich als Industriegebiet an und so wurde 1968 der Grundstein für das Industriezentrum Niederösterreich-Süd (IZ NÖ-Süd) gelegt. Seit den 90er Jahren hat auch der REWE Konzern seine Zentrale in dem Gebiet.
Diese ökonomische Entwicklung bewirkte und förderte einen markanten Bevölkerungszuzug, der auch durch kommunale Maßnahmen unterstützt wurde. Neben neu erschlossenen Siedlungsgebieten entstand in den Jahren 1967 bis 1976 ein neues Ortszentrum mit Schule, Kindergarten und neuem Rathaus. Ein großes Freizeitzentrum, benannt nach dem ehemaligen Bürgermeister Franz Fürst, mit zahlreichen Sportanlagen wurde 1985 eröffnet, 1990 der Rathauspark. Zu den größten Siedlungsgebieten zählen der 1976 eröffnete Reisenbauer Ring und das Wohngebiet Anningerpark, bei dem 2013 der Spatenstich erfolgte. Der Erwerb des ehemaligen Klosterareals durch die Gemeinde 1994 eröffnete ein weiteres Erholungsgebiet, das auch für ein Sicherheitszentrum mit Ortsstellen der Polizei und des Roten Kreuz, kulturelle Einrichtungen wie das Christoph-Migazzi-Haus, die Musikschule, das Archiv und die Bibliothek und ein Sozialzentrum Raum bieten sollte. Mehr Platz für die Freiwillige Feuerwehr gab es 2009 mit der Eröffnung des neuen Feuerwehrhauses. Im ehemaligen Standort findet heute das Eumig-Museum Platz, welches die Geschichte einer der berühmtesten Unternehmen aus Wiener Neudorf zur Schau stellt.